Sitten und Gebräuche
Clemens Loose

Wer die Geschichte der Westumer Schützengesellschaft studiert hat, wird festgestellt haben, dass diese jahrhunderte lang das gesellschaftliche Leben im Ort und in den Bauerschaften bestimmt hat. Alte Sitten und Gebräuche wurden streng gehegt und gepflegt. Wenn heute mancher Brauch aus der Vergangenheit verschwunden ist, so muss man dass in erster Linie wohl den beiden Kriegen unseres Zeitalters zuschreiben, aber auch dem Umstand, dass unsere Jugend nicht mehr das nötige Verständnis für das Althergebrachte aufbringt. Es ist deshalb wohl berechtigt Sitten und Gebräuche aus der Vergangenheit zurückzuholen.
Erstes fest war Fastaobend - Karneval nennen wir es heute. Seit undenklichen Zeiten besteht Emsdettener Fastaobend. Es gab zwar nicht den grossen Rosenmontagsumzug, sondern es feierte jeder in seiner Nachbarschaft oder seiner gesellschaft Fastaobend. Bei den Westumern verlief das Fest folgendermassen, ähnlich mag es auch wohl bei den anderen Gesellschaften der Fall gewesen sein.
Schon Wochen vor Fastaobend setzte sich der Vorstand zusammen. Ein eigenes Lied wurde für Fastaobend gedichtet. Dann überlegte man, welche Narretei man Fastaobend anstellen könnte. Wenn Fastaobend Herangekommen war, zog man aus und wanderte von von Haus zu Haus in der Bauerschaft. Der Trecksack fehlte nicht, auch nicht die "Stölpen". Allerlei Radaugeräte hatte man angefertigt, schliesslich waren die Wannenmacher und Schreiner findige Leute. Zum Fastaobend gehörte auch die lustige Verkleidung. Allerlei ausrangierte Kleidungsstücke kamen an diesem Tag wieder zu Ehren. Auf Schiebkarren und kleinen Wagen demonstrierten die Leute aktuelle Tagesereignisse in humorvoller Weise.  So zog man von Haus zu Haus und sammelte Mettwürste. Jeder musste zum Fest beitragen und musste zur Mettwurst noch ein "Kassmännken" (25 Pfennig) geben. Dafür durften alle Angehörigen am Fest teilnehmen, frei Essen, trinken und rauchen. Der Tabak stand auf dem Tisch. Als zünftiges Fastaobendiärten gab es Iärften und Wuorst.
Hunderte von Jahren hat sich dieser Brauch erhalten. Später jedoch hielten die Gesellschaften ihren Fastnachtsumzug im Ort. Erwähnt werden muss noch, wie die damenwelt zum Fastaobend ging: mit Umschlagtuch und Kattunschürze und in blankgescheuerten Holzschuhen.
Ein uralter Brauch war von jeher das Abbrennen eines Osterfeuers (Pooschkefuer). Bis zum Jahre 1939 hielten die Westumer an diesem Brauch fest. Da sehr viel Abfallholz vorhanden war, machte es keine grosse Mühe ein grösseres Feuer anzufachen. Doch in all den Jahren wurde auch dieses knapper und man kaufte die "Buschen" bis es finanziell nicht mehr erschwinglich war.  Interessant ist, wie ein grosses Osterfeuer zustande kam. Ein bestimmter Platz war Wochenlang vorher bestimmt, wo das Osterfeuer abgebrannt werden sollte. Am 1. Osterfeiertag, nach der Vesper, waren mehrere Wagen bestellt. Sie fuhren von Haus zu Haus um das bereitliegende Holz einzusammeln und zu verladen. Vorher aber gingen zwei Mann vom Vorstand, oder ältere Bekannte Leute mit der Pulle rund. Jeder Hausbesitzer bekam ein "Schnäpsken". Auch der Beutel fehlte nicht, in dem jeder reinstecken konnte was er wollte. (Es sollen auch manchmal Knöpfe darin gefunden worden sein.) Nachdem man das Holz aufgeschichtet hatte und das Kreuz errichtet war, konnte bei Anbruch der Dunkelheit das Feuer angezündet werden. Nachdem die Osterlieder gesungen waren, kreiste die "Pulle" in der Runde; denn von dem Geld das man am Nachmittag in den Beutel bekommen hatte, erhielt jeder sein "Schnäpsken". So war das "Pooschkefuerabbrennen" eine langjährige Tradition in den Bauerschaften.
Tüsken Saien und Maihen vor Schützenfest ist die zeit, in der früher die meisten Hochzeiten stattfanden. Es war ein alter Brauch, das der, der aus der Jungesellen-Gesellschaft ausschied, Bier spendierte. Der eine gab eine Tonne, der andere eine halbe oder auch eine viertel Tonne Bier. Alles dieses war mit einer Festlichkeit und mit einem Tanzvergnügen verbunden.
"Schüttenbeer", das ist der alte Name für das schönste Volksfest in Emsdetten. Auch wenn das Plattdeutsche heute nicht mehr so in Mode ist, so ist es doch noch für viel "Schüttenbeer" oder "Beerdag". Schützenfest beginnt jeweils 4 Wochen vor dem Fest. Dann wird an einer Versammlung der Vorstand bestimmt. "Utbeinken". Es wurden zwei Hüte oder Kappen aufgestellt. Wer wählt, gibt sein Böhnchen für seinen Kandidaten ab. Die Mehrzahl der Böhnchen entscheidet: deshalb nannte man es "Utbeinken". Wenn alle Chargierten bestimmt sind, erschallt das Kommando des Majors: " Alles raustreten ". Man formierte sich zum Zug und im Gänsemarsch ging es mit Gesang ins Dorf zu den Wirtschaften, die einem gewogen waren.
An den folgenden zwei oder drei Sonntagen fand dann auf dieser oder jener Tenne das "Danzenlähren" statt. So konnten jung hinzugekommene Mitglieder das Tanzen erlernen. (Tanzkurse gab es damals noch nicht)  Zwar dieses verboten; denn auch damals gab es schon die Lustbarkeitssteuer, aber man half sich, indem man überall Posten ausstellte, um so den herannahenden Feind, die Polizei, zu erkennen und die Tanzenden zu warnen. Aus jeder Aktion die mit dem Schützenfest zu tun hatte, verstanden es die Leute ein Fest zu machen. An den Tagen vor "Schüttenbeer" wusste man immer zu feiern. Am Sonntag wurden die Damen der Mitglieder persönlich eingeladen. Am Montag war Säbelputzen für Offiziere und Fähnriche, Mittwoch Schilderputzen der Königsketten, am Donnerstag Grünholen für die Ausschmückung des Saales, am Freitag war "Kränzen" mit Damen angesagt und am Samstag das Vogelwegbringen mit anschliessendem Tanz. Am Sonntag fand das Schiessen zum Vogelkönig (Hauptkönig) statt, Montag das Schiessen zum Sternkönig. Dienstag wurde gehext  --  und  --  am Mittwoch war man pleite.
Leider ist ein uralter Brauch ausgestorben, der so schön zur Geschichte unserer Heimat passte. Wenn der König geschmückt mit seinem Dreispitz, (à la Friderikus Rex) mit bunten Bändern geschmückt, an seinem Haus mit der Gesellschaft aufmarschierte, dann empfing ihn die Nachbarschaft mit einem Freitrunk (das Schenken). Der Trunk wurde ihm kredenzt aus einer Wanne, auf der ein Bullenkopp Bier und mehrere Gläser standen. Die ganze Wanne war verziert und mit Rosenblättern übersät. Auch der König musste einen Bullenkopp (Krug) Bier spenden. Seinerseits musste er aber die Nachbarn zu einem Freitrunk am Abend einladen.
Am dritten Tag (Hexenschüttenbeer), war es so, dass meistens jene König wurden, die es hatten werden wollen, aber nicht geworden sind.  Man drehte es so, dass der dann Hexenkönig wurde, der nach dem schützenfest noch das meiste Geld hatte.
Bisher war fast nur die Rede von den Schützen. Wie aber war es mit den Damen ? Sie kamen gerne zu den Festen denn der liebste wartete ja. Sie kamen und und brachten eine Tüte Zucker und einen Löffel mit; denn es gab Zuckerbier. Auch wurde schon mal nen "Sööten" spendiert. Der jedoch kostete 5 Pfennig (Anis sagte man). Schön waren auch die damen in der Polonäse anzusehen, trugen sie doch schwergestärkte Schürzen und dazu ein grosses weisses, wollenes Umschlagtuch das die ganze Schulter bedeckte. Der Brauch hielt sich bis zum ersten Weltkrieg.  Es war aber unmöglich ihn wieder aufleben zu lassen.
Da die Ortschaft im laufe der Zeit immer grösser wurde, fand fast an jedem Samstag irgendwo ein Tanzvergnügen statt. Diese waren jedoch alle illegal da die Stadt keine Steuern einnehmen konnte. Nach einigen Bestrafungen der Durchführenden wurden die Tanzveranstaltungen fallen gelassen.
Ein anderer Brauch ist das sogenannte "Bineenescheiten" oder das "Verlobungsschiessen". Wusste oder munkelte man es nur, dass jemand auf ein Mädchen ein Auge geworfen hatte, dann stand das Gewehr wochenlang geladen fertig. Kam dann eines Tages der Freier, so wusste man, dass er um die Braut werben wollte. Üblich war es dann, das der nächstwohnende Junggeselle einen Schuss abgab, worauf sämtliche Junggesellen einen Schuss abgaben. Unter fortwährendem Schiessen, ging dann eine Abordnung ins Haus zur Gratulation. Diese bekamen dafür, was das Mindeste war, einen Liter Schnaps. Wenn man dann noch Durst hatte, und der Schnaps absolut nicht reichen wollte, dann  "schmeet man nao nen Suböschen (Silbergroschen) un deih en Fiefken naobüören".
Mit "dat Bineenescheiten" hat man auch vielfach Unfug getrieben.
Einmal hatte ein Junggeselle aus einer anderen Bauerschaft bei dem bauern Jürgens (Beckwermert) etwas zu bestellen. Es war ein etwas Verwachsener. Er hatte, wie man sagte " de Kriegskasse up den Puckel". Als nun einige Junggesellen von`t Schuot dies sahen, verabredeten sie sich, diesem einen streich zu spielen.  Gesagt  -  getan !  Man holte die Püster, und schon knallte es. Hinein ins Haus und den Glücklichen gratulieren war eins. Doch der Besucher sass gemütlich am Herdfeuer und wollte von der Sache nichts wissen. Aber da kam der bauer, dem die Sache selbst Spass machte, dem Junggesellen zu Hilfe. Schnell holte er seine Magd aus dem Kuhstall, schon diese und auch den Buckligen in die beste Stube mit den Worten "Wenn`t so iss, dann gaot`t dao men drin, küert ju ut, un seggt us dann glieks Bescheid". Es soll gar nicht lange gedauert haben, dass die beiden sich als glückliches Brautpaar vorgestellt haben, zur allgemeinen Verblüffung der Gratulanten. Keine zwei Minuten und die beiden waren sich einig, auch wenn sie  vorher noch nie ein wort miteinander gewechselt hatten.
Die Westumer bekamen ihren Schnaps, und der Bauer gab des so gelungenen Streiches wegen auch noch einen dazu. Noch nie soll bei einer Verlobung der Schnaps so gemundet haben wie bei dieser. Ob aber die Ehe glücklich war, darüber wurde nichts berichtet.
Ein anderer Fall ging nicht so gut aus.
Bei Wegmanns up`t Schluot lebten nur ältere ledige Frauenspersonen im Haus. Nach einer längeren verabredung spielte man den alten damen folgenden Streich. Ein älterer Junggeselle sollte mehrfach abends bei den Damen vorsprechen, und mal dieses und mal jenen Anliegen vorbringen, und sich wenn möglich länger bei den alten Tanten aufhalten. Eines Anends, als er wieder mal am Herdfeuer sass, ging die Knallerei los. Die Gratulanten kamen ins Haus, unser Öhm nahm die gratulation an. Er kam aber garnicht dazu, ihnen das geld für den Schnaps zu geben, das man vorher gesammelt hatte. Es soll ein derartiges Schimpfen, dann Fluchen und Poltern abgesetzt haben, wozu es auch noch Schläge gegeben haben soll.  So suchte man schleunigst das Weite, und nie sollen die Beteiligten hernach wieder Lust gespürt haben, alten Damen derartige Streiche zu spielen.
Da gerade von Schiessen die Rede war, darf man einflechten, dass in keinem Haus früher ein Gewehr fehlte. Man nannte es "Püster" oder "Knarre". Alle Kalieber konnte man auf Schützenfest beim Umzug antreffen. Zum Wildern taugten dieselben nicht. Die älteren musste man mit Stein und und Lunte anbrennen, was beim Wildern zu umständlich war. Die späteren Kaliber mit Abzughahn und Zündhütchen waren da schon schon besser geeignet. Aber der laute Knall wurde zum Verräter, da war das Schlingestellen geräuschloser.
Beim Vogelschiessen an Schüttenbeer soll auch so mancher Püster eine Laufbauchung aufgewiesen haben, und eine zu schwere ladung soll zu fürchterlichen Stössen in der Schulter geführt haben. Darüber erzählt man sich folgende Anekdote:  Ein Königsaspirant schoss. Der Stoss war so stark, dass er rücklings ins Gras fiel. Er lag unter der Schützenstange, und auch der Vogel hatte seine luftige Höhe verlassen. Also hatte sich der Schuss gelohnt, und der Schütze wurde Vogelkönig.
Bei vielen Freudenfesten kam das Gewehr noch in Einsatz denn immer musste es knallen. Bei Versprüchen (Verlobungen), Kistenwagenfahren (Einholen des Brautschatzes),  beim Vüöraobend (Polterabend) sowie beim Gaobenbrengen (Hochzeitsgeschenke). Wer am Hochzeitstag kein Gewehr hatte , war kein ganzer Kerl.  Auch an Festtagen z.B. Osternund Weihnachten, wenn der Bauer mit seinem Gesinde zur " Ucht " (Mitternachtsmesse) aufbrach, gab der erste Knecht einen Schuss ab. Dass der Anbruch des neuen jahres auch beschossen wurde, versteht sich von selber.
Nicht nur an Belustigung- und Festtagen wurde geschossen. Da die höfe weit auseinander lagen, wurde der Püster auch zur Alarmierung eingesetzt. Diebes- und Raubgesindel hatten es leicht, ein Gehöft zu überfallen, und auszurauben. Ein Schuss war dann das Alarmzeichen für alle den geschädigten zur Hilfe zu eilen. Ähnlich verhielt man sich bei Bränden, Sturm, Verheerungen und sonstigen Unglücksfällen, bei denen man Hilfe brauchte. Ein Schuss, besonders in der Nacht, war immer ein signal der Not, das um hilfe bat.
Eine besonders schöne Sitte sollte nicht unerwähnt bleiben. Die jungen Burschen der Gesellschaft hatten die Aufgabe, am Nikolaustag die kinder zu besuchen und zu beschenken. Nikolaus und Knecht Ruprecht zogen nun von Haus zu haus, mit einem grossen korb. Darin hatte man Nüsse und Walnüsse, die man selber gesucht hatte, auch wohl Bucheckern und "Backtebiärn" (getrocknete Birnen) und Äpfel.
St. Nikolaus wurde überall stürmisch begrüsst von den Erwachsenen, wenn auch von den Kindern etwas Misstrauisch.
Aber auch hier soll es zu unliebsamen Vorkommnissen gekommen sein. Die "Nikoläuse" bekamen überall einen und auch wohl mehrere Schnäpse. Infolge dessen soll es manchmal recht hart zugegangen sein. Die erwachsenen Mädchen sollen mehr Schläge mit der Rute bekommen haben, als die kinder Leckerbissen. Auch soll mal ein Unfall vorgekommen sein. Einer dieser Vermummten Gestalten ist auf einen Schlagbaum gelaufen. An den inneren Verletzungen soll er gestorben sein.
Soweit über Sitten und Gebräuche im alten Detten. Auch wenn es manchmal recht Rauh zu und her ging, war man doch stolz seine Eigenart. Vieles und manches Schöne ist im Laufe der Zeit verschwunden.
 


Quelle: Clemens Loose 250 jahre Westumer Schützengesellschaft
Festschrift Clemens Loose